Aufruf zum festival contre le racisme 2007

Der Aufruf aus dem Jahr 2007 im Volltext

Im Jahr 2007 feiert die Europäische Union das „Europäische Jahr der Chancengleichheit“. Bereits im ersten Satz zur Begründung dieses Jahres heißt es „Ganz zu Recht ist die Europäische Union (EU) stolz auf ihre Antidiskriminierungsgesetzgebung, die zu den umfassendsten der Welt gehört.“ Gesetze allein genügen nicht, um Diskriminierung entgegenzuwirken. Die Europäische Union hat dies nun auch verstanden – dennoch klaffen Anspruch und Wirklichkeit im „Europäischen Jahr der Chancengleichheit“ enorm auseinander.

Das festival contre le racisme ist ein studentischer Beitrag gegen Diskriminierung, Rassismus und Ausgrenzung sowie ein Zeichen der Solidarität mit ausländischen Studierenden, welche an den Hochschulen stets die ersten Betroffenen von Diskriminierung sind. Zwar ist in der von 29 europäischen Staaten unterschriebenen Bologna-Erklärung aus dem Jahre 1999 die Förderung der Mobilität von Studierenden eines der drei zentralen Ziele, dennoch scheitert dies hierzulande an der Realität.

Mobilität – längst nicht für alle

Ausländische Studierende sehen sich allein, um ein Studium abseits von bequemen Programmen wie ERASMUS überhaupt beginnen zu können, einem schier unüberwindbaren bürokratischen Dschungel gegenüber. Dies alles sind künstliche Mobilitätshindernisse, die auch laut Europäischer Union abgebaut werden müssen, um einen Wissenstransfer zu gewährleisten.

Während Studierende, die aus EU-Staaten kommen, in jedem Land der Europäischen Union Semester belegen können, sieht dies für Studierende aus Staaten außerhalb der Union gänzlich anders aus: Selbst wenn sie ein Visum für die Schengen-Staaten ausgestellt bekommen, haben sie nicht die Berechtigung zu einem Studium im gesamten Schengen-Raum. Das ist in einem Wort ausgedrückt Diskriminierung.

Hier stehen angeblich – ähnlich wie im gesamten Bereich der Migration – „Sicherheitsbedenken“ entgegen. Das Totschlagargument gegen die Freiheit der/des Einzelnen ist die Sicherheit. Im Rahmen der Terrorismusabwehr waren sich deutsche Innenminister nicht zu schade Grundrechte mit Füßen zu treten. Erinnert sei an die nachträglich für grundgesetzwidrig erklärte Rasterfahndung oder die aktuelle Sicherheitsüberprüfung ausländischer Studierender: In einigen Bundesländern müssen sich Studierende aus islamischen Ländern bereits Monate vor dem Ablauf ihres Visums um eine Verlängerung bemühen – damit den Sicherheitsbehörden Zeit für eine gesonderte Überprüfung der Studierenden bleibt. Dies ist nichts anderes als ein Generalverdacht.

Gebühren, Gebühren, Gebühren…

Soviel zum Visum. In der Regel bewirbt sich ein/e ausländische/r Studierende/r über den Verein uni assist e.V. an einer oder mehreren Hochschulen über ein kostenpflichtiges Bewerbungsverfahren. Mit dem uni-assist-Bewerbungsverfahren gibt es eine durchaus vorteilhafte zentrale Anlaufstelle für ausländische StudienbewerberInnen. Warum dieses Verfahren für die BewerberInnen kostenpflichtig, bleibt ein Rätsel. Schließlich ergeben sich für die uni-assist-Mitgliedshochschulen erhebliche Einsparungen in der Verwaltung. Ebenso rätselhaft ist die Erhöhung der Gebühren am Jahresbeginn um zehn Prozent mit der Begründung einer dreiprozentigen generellen Mehrwertsteuererhöhung. Auch diese Gebühren stellen eine Diskriminierung ausländischer StudierenbewerberInnen dar.

Weiterhin ist ein Sprachnachweis Pflicht. Anerkannt sind lediglich die so genannte DSH-Prüfung oder eine Prüfung durch das TestDaF-Institut. Solche Institutionen sind extrem unterschiedlich verteilt und beispielsweise auf dem afrikanischen Kontinent rar gesät. Diese Sprachtests sind lediglich eine ordnungspolitische Maßnahme. Das individuelle Problem der Sprachbarriere wird nicht durch eine allgemeine Prüfung gelöst, sondern sollte jeder bzw. jedem selbst überlassen sein. Wenn jemand ernsthaft im Ausland studieren möchte dann wird die- oder derjenige sich freiwillig um entsprechende Sprachkenntnisse bemühen. Die festgelegte DSH- oder TestDaF-Prüfung ist im Übrigen kostenpflichtig – unabhängig vom eigentlichen Spracherwerb – und somit ein weiteres künstliches Mobilitätshindernis.

Selbstverständlich prüfen deutsche Behörden auch die Hochschulzugangsberechtigung (HZB) von ausländischen StudienbewerberInnen gründlich. Schließlich sollen im Ausland erworbene HZBen vergleichbar mit denen sein, die in Deutschland erworben werden können – damit ja kein/e Deutsche/r benachteiligt wird. Hierzu gibt es diverse Listen, etwa die Äquivalenzliste der Kultusministerkonferenz oder eine interne Bewertung beim uni assist e.V. – letztendlich ist die Bewertung relativ willkürlich, da beispielsweise die Äquivalenzliste nur eine Richtlinie für die einzelnen Hochschulen darstellt. Für chinesische Studierende, die ihre HZB angeblich überdurchschnittlich oft fälschen, hat man in Peking eigens in der Deutschen Botschaft die Akademische Prüfstelle (APS) geschaffen, welche die HZB prüft. Diese Prüfung ist für StudienbewerberInnen aus China Pflicht und kostet rund 250 Euro.

Sollte festgestellt werden, dass ein Abschluss aus dem Heimatland nicht dem deutschen Bildungsniveau äquivalent ist, gibt es die eigentümliche Konstruktion der Studienkollegs. In dieser Institution können ausländische StudienbewerberInnen eine auf bestimmte Fächer eingegrenzte Studienberechtigung erlangen. Das Studienkolleg stuft die StudienbewerberInnen auf eine Art „SchülerInnenstatus“ zurück und sorgt oft für eine unnötige Verlängerung der Studiendauer.

Die Grenzen der „Gastfreundschaft“

Generell werden in Deutschland sämtliche MigrantInnen als „Gäste“ betrachtet. Das heißt, dass sie in naher Zukunft wieder „nach Hause“ gehen sollen und dem „Gutdünken“ des Gastgebers ausgesetzt sind. Einerseits ist laut einer aktuellen Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung ist jede/r fünfte Deutsche ausgewiesene/r Fremdenfeind/in. [1] Die Zahl der rechtsextremen Straf- und Gewalttaten befand sich im Jahr 2006 auf dem höchsten Stand seit Jahren. Hier sind MigrantInnen immer die ersten, die potenzielle Opfer darstellen. Anderseits werden bestehende gesetzliche Regelungen seitens von staatlichen Behörden nicht selten willkürlich ausgelegt. Gegen diese Tendenzen ist ein nachhaltiges gesellschaftliches Engagement gefordert.

Sicher ist dies nicht ohne einen weit reichenden Mentalitätswandel möglich. Noch immer müssen ausländische Studierende behördlich-offiziell dem Vorurteil, dass „AusländerInnen uns nur auf der Tasche liegen“ würden, entgegentreten. 585 Euro pro Monat sind nachzuweisen oder gleich auf ein Sperrkonto zu überweisen. So wird ausgeschlossen, dass Studierende aus dem Ausland „auf Kosten des Staates“ hier studieren. Von Sozialleistungen, wie dem BAföG, sind ohnehin nahezu alle ausländischen Studierenden ausgeschlossen.

Auch das zur Selbstverständlichkeit geronnene Arbeiten neben dem Studium ist für ausländische Studierende nicht ohne Einschränkungen möglich. Ausländische Studierende aus Nicht-EU-Ländern dürfen maximal 90 volle Tage im Jahr arbeiten, müssen eine Genehmigung beantragen und dürfen keine/n geeignete/n Bewerber/in aus der EU verdrängen. Dies wird von Amts wegen überprüft. An diesem Beispiel zeigt sich, wie die NPD-Forderung „Arbeitsplätze zuerst für Deutsche“ im europäischen Rahmen „gelöst“ wird.

In der Politik wurden und werden noch andere Hürden diskutiert: So zum Beispiel wollte das Land Hessen bei der Einführung der ohnehin abzulehnenden allgemeinen Studiengebühren, ausländische Studierende gleich dreimal so hoch belasten, wie ihre deutschen KommilitonInnen. Hinzu kommen die ohnehin bestehenden Einschränkungen des „Gastrechtes“: Schon bei geringen „Verfehlungen“ kann die/der Studierende des Landes verwiesen werden. So wird auch die politische Betätigung von ausländischen Studierenden gehemmt.

Die Kehrseite der Medaille

Die Mobilität von Studierenden hat natürlich auch eine andere Seite: Viele einheimische Studierende studieren im Ausland. Vorwiegendes Ziel sind Länder der westlichen Hemisphäre. Vom Deutschen Akademischen Auslandsdienst werden vor allem über das EU-Programm ERASMUS Studierende innerhalb Europas untergebracht. Auch hier gibt es erheblichen Verbesserungsbedarf bei der Vorbereitung der Studierenden auf ihr Studium im Ausland. Des Weiteren ist der Blick oftmals leider auf die EU beschränkt, die ERASMUS-Plätze nach Osteuropa sind nicht ausgeschöpft.

Ebenso erheblich sind die Schwierigkeiten bei der Anerkennung von Studienleistungen, die im Ausland erbracht wurden. Trotz Bologna-Prozess und Internationalisierung stoßen Studierende auf oft willkürliche Entscheidungen von Prüfungsämtern und Dozierenden.

Ein weiteres Problem stellt der Ausschluss ganzer Bevölkerungsgruppen vom Studium dar: Gemeint sind hier anerkannte Flüchtlinge, AsylbewerberInnen und Menschen mit einem anderen „unsicheren“ Aufenthaltsstaus. In der Regel sind diese Menschen von der Hochschulbildung ausgeschlossen. Hier beginnen die Missstände allerdings bereits im allgemeinen Bildungsbereich oder im Zusammenhang mit administrativer Diskriminierung – beispielsweise durch die so genannte Residenzpflicht, wonach AsylbewerberInnen einen zugewiesenen Landkreis nicht verlassen dürfen, oder die Zwangsversorgung von Flüchtlingen mit Lebensmittelpaketen statt Geldleistungen. Wer hier lebt, der soll sich auch bilden, bewegen und nach indivduellem Geschmack leben können!

Stefan Zweig, ein jüdischer Autor, schrieb 1942 in seiner Autobiografie:

„Vor 1914 hatte die Erde allen Menschen gehört. Jeder ging und blieb, solange er wollte. Es gab keine Erlaubnisse, keine Verstattungen, und ich ergötze mich immer wieder neu an dem Staunen junger Menschen, sobald ich ihnen erzähle, daß ich vor 1914 nach Indien und Amerika reiste, ohne einen Paß zu besitzen oder überhaupt je gesehen zu haben. Man stieg ein und aus, ohne zu fragen und gefragt zu werden, man hatte nicht ein einziges von den hundert Papieren auszufüllen, die heute abgefordert werden. Es gab keine Permits, keine Visen, keine Belästigungen; dieselben Grenzen, die heute von Zollbeamten, Polizei, Gendarmerieposten dank des pathologischen Mißtrauens aller gegen alle in einen Drahtverhau verwandelt sind, bedeuteten nichts als symbolische Linien, die man ebenso sorglos überschritt wie den Meridian in Greenwich. Erst nach dem Krieg begann die Weltverstörung durch den Nationalsozialismus, und als erstes sichtbares Phänomen zeitigte diese geistige Epidemie unseres Jahrhunderts die Xenophobie: den Fremdenhaß oder zumindest die Fremdenangst.“ [2] 

Das, was Zweig in diesem Abschnitt als „Drahtverhau“ anprangert, ist nichts anderes als der bürgerliche Nationalstaat. Genau diese auf Exklusion basierenden Gebilde und ihre supranationalen Zusammenschlüsse – wie zum Beispiel die Europäische Union – zementieren nicht nur Ungleichheiten sondern eben auch simple Mobilitätshindernisse. Solange das Modell der Nationalstaaten nicht in Frage steht, müssen diese Hindernisse abgebaut werden!

Warum das festival contre le racisme?

Nicht zuletzt aus Solidarität mit unseren ausländischen KommilitonInnen wollen wir auf die prekäre Situation aufmerksam machen. Und das soll sich natürlich nicht nur auf Studierende beschränken. Alle erdenklich möglichen Themen aus den Bereichen Rassismus, Xenophobie, Antisemitismus, Flucht, Migration und Integration können Teil eines der lokalen festivals sein.

Hier sollen möglichst viele Studierende auf Um- und Missstände aus den genannten Bereichen aufmerksam gemacht werden. Es bietet weiterhin die Gelegenheit Bündnisse mit antirassistischen Initiativen zu schließen und ausländische Studierende auch in diesen Prozess zu integrieren. Mobilität soll eine zweiseitige Medaille sein. Hindernisse abzubauen, Barrieren auch im Kopf zu beseitigen und so zu einem Stück mehr Chancengleichheit zu gelangen, ist die Aufgabe von uns allen.

Mobility is a right!


Fußnoten

[1] O. Decker, E. Brähler, N. Geißler: Vom Rand zur Mitte. Berlin, 2006. Einsehbar unter fes.de

[2] zit. nach K. Schlögel: Die Mitte liegt ostwärts. Bonn, 2002. Zu beziehen über bpb.de